Bescheidenheit ist keine Zier!
Über das Sorgen für andere und das Fordern für sich
Ein Blick auf Ihre Beziehung - Ein Gedankenexperiment:
Stellen Sie sich vor, Sie und Ihr Mann tauschen ein Jahr lang die Rollen. Was würde sich ändern? Wie fühlt
sich diese neue Lebenssituation an? Welche neuen Freiräume hätten Sie, wie würden Sie diese nützen? Welche
Unterstützung hätten Sie nun von ihm, was würde ihm fehlen? Welche neuen Verantwortungsbereiche hätten Sie?
... Was schließen Sie daraus für Ihre aktuelle Situation? Wollen Sie etwas verändern?
Ein Blick auf unsere Gesellschaft:
Laut einer aktuellen deutschen Studie verdienen Frauen bei gleicher Qualifikation deutlich weniger als ihre
männlichen Kollegen (Unterschiede zwischen 20 und 31 Prozent, vgl. FrauenSicht 1/05, in Österreich bis zu
36 Prozent Differenz, Tendenz steigend!). Neben strukturellen Bedingungen - geschlechtsspezifische Arbeitsteilung
und Berufsunterbrechungen von Frauen mit Kindern, Teilzeitarbeit, "gläserne Decke" für höhere
Hierarchieebenen usw. - liegt diese ungleiche Bezahlung für die gleiche Tätigkeit auch daran, dass Frauen
zurückhaltender sind, sich in Personalgesprächen weniger selbstbewusst präsentieren und in Gehaltsverhandlungen
weniger fordern als ihre männlichen Kollegen. Das Tabu, über Geld zu sprechen, verschleiert oftmals diese
Einkommensungleichheit zwischen den Geschlechtern und zementiert somit die gesellschaftliche Ungleichheit.
Diese Zurückhaltung im Beruf wird oft auch im privaten Bereich fortgesetzt: Auch hier fordern Frauen sehr oft
nicht das, was ihnen zusteht - aus Mangel an Selbstwert und Wertschätzung der eigenen Arbeit. Die alltäglich
und allnächtlich 365 Tage im Jahr ohne Urlaubsanspruch von Frauen selbstverständlich verrichtete Versorgungsarbeit
in den Bereichen Haushalt, Kinderbetreuung, Pflege von Angehörigen, emotionale Sorge für andere - Aufmerksamkeit,
Einfühlung, Zuwendung, Trost, Motivation - ist wertvoll! Die Schweiz berechnete erstmals in ihrer Jahresrechnung
den Wert der mehrheitlich von Frauen geleisteten unbezahlten Arbeit. Diese hatte im Jahr 2000 einen Wert von 250
Milliarden Franken. Benennen Sie Ihre Leistungen und fordern Sie Unterstützung!
Es ist Ihr Recht, über das tatsächliche Einkommen Ihres Mannes Bescheid zu wissen und auf einer gerechten
Verteilung innerhalb der Familie zu bestehen. Ein Großteil der Frauen, die in unsere Beratungsstelle kommen,
erhalten von ihren Männern nicht das, was ihnen an Unterhalt oder Beitrag zur Haushaltsführung bzw. den Kindern
an Alimenten zusteht.
Bettina Zehetner