Rezensionen
Helga Krüger-Kirn, Bettina Schroeter (Hg.innen):
Verkörperungen von Weiblichkeit.
Gendersensible Betrachtungen körperpsychotherapeutischer Prozesse.
Aus dem Französischen übersetzt von Claudia Simma. Versehen mit zwei Supplementen
von Esther Hutfless/Elisabeth Schäfer und Gertrude Postl.
Gießen: Psychosozial-Verlag 2017
http://www.psychosozial-verlag.de/
„Der weibliche Körper – Heimat oder Kriegsschauplatz“ so betitelt Angela von Arnim
ihren Artikel über (selbst)destruktive Normierungspraktiken im Namen der Schönheit.
Laut sozialpsychologischen Studien steigt die Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper
in den letzten Jahren ständig, nicht zuletzt aufgrund der explosionsartigen Dichte
und Geschwindigkeit an (meist gemorphten, also technisch veränderten) Bilder von
Körpern in Social Media – Zusammenhängen, mit denen frau sich vergleichen, an denen
frau sich messen soll. Und: Wer sich schämt, protestiert nicht. Dies ergibt viel
Bedarf an Bewusstseinsarbeit und Gesellschaftskritik, aber auch an heilender
Körperpsychotherapie, um den eigenen Körper nicht (mehr) als Schlachtfeld oder
bloßen zu bearbeitenden Rohstoff mit mehr oder weniger Marktwert zu behandeln,
sondern sich zu trauen, eigenen Impulsen zu folgen, den eigenen Körper zu spüren
und erspürte Grenzen nicht als Auftrag sie zu überwinden zu erleben, sondern als
sinnvolle Signale in der Kommunikation mit anderen. Dazu gehört auch, sich aggressive
Regungen zu erlauben und sie womöglich sogar als Fähigkeit zur Selbstbehauptung nützen
zu lernen – ganz konkret im Atemmuster, in der Muskelspannung, in der Zentriertheit
und Erdung, in der Haltung der Wirbelsäule, in der Beweglichkeit der Gelenke, der
Festigkeit der Knochen, im Zusammenspiel der inneren Organe, in der Bezogenheit von
Nervensystem, Gehirn und Körper. Weibliche Körper können so viel mehr als freundlich,
fürsorglich und dekorativ sein, wie Cornelia Richter-Grimm und Anna Willach-Holzapfel
deutlich machen.
Susanne Maurer thematisiert den Körper als utopischen Fluchtpunkt, durch dessen
leib-seelische Analyse sich ein Hoffnungshorizont auf emanzipatorische Prozesse eröffnet.
Die Diskurse um Verletzlichkeit und Begrenztheit bilden dazu den Kontrapunkt. Der
diskursive Körper als erfahrbare Realität – das ist eine der spannenden Herausforderungen,
denen sich körperpsychotherapeutische Methoden stellen. Maurer plädiert für ein Denken des
Menschen in Kräftefeldern, eine Perspektive, die der Körper(psycho)therapie längst vertraut
ist. Hier geht es um Fragen wie „Welche Kräfte können sich entfalten?“, „Was kommt in einer
Bewegung zum Ausdruck?“ oder „Wofür steht ein bestimmter Bewegungsimpuls und wo führt er hin?“
Sabine Schrem macht sich auf die Suche nach den weiblichen Traditionen der Körpertherapie
und präsentiert in Form von 12 Kurzportraits eine spannende Geschichte der von Anfang an
vielfältig tätigen Frauen in diesem Methodenspektrum. Diesen Reichtum an weiblichen Gründerinnen
und Praktikerinnen sichtbar zu machen war längst überfällig, zumal gerade auch in der
Körperpsychotherapie die Meisterinnen oft untergehen in der Beweihräucherung männlicher Gurus.
Viel Raum ist auch den Bereichen Sexualität und Mutterschaft gewidmet sowie dem sensiblen
Thema Körperpsychotherapie bei geschlechtsspezifischer Gewalt.
Insgesamt ein Sammelband mit thematisch breiter genderreflektierender Reflexion
körpertherapeutischer Prozesse anhand von lebendigen Fallbeispielen.
Bettina Zehetner